Überschwemmungsgebiete
Begriff und Zweck
Überschwemmungsgebiete sind Gebiete, die bei einem 100-jährlichen Hochwasserereignis überschwemmt, durchflossen oder für die Hochwasserentlastung bzw. -rückhaltung beansprucht werden. Dazu zählen insbesondere auch Gebiete zwischen oberirdischen Gewässern und Deichen oder Hochufern (§ 76 Wasserhaushaltsgesetz (WHG)).
Die Feststellung der Überschwemmungsgebiete ist ein Bereich der Flächenvorsorge, der wiederum der wichtigste Bestandteil des vorbeugenden Hochwasserschutzes ist. Die Bevölkerung wird für das Thema sensibilisiert und über die konkrete Gefahr an einem Gewässer informiert. Bei der Landes-, Regional- und Bauleitplanung sind die festgesetzten Überschwemmungsgebiete wichtige Grundlagen für sinnvolle Festlegungen der Flächennutzung.
Überschwemmungsgebiete dienen der Vermeidung und Verminderung von Schäden durch Hochwasser, der Verbesserung der ökologischen Struktur der Gewässer sowie dem schadlosen Abfließen des Hochwassers. Hierfür stellen sie die dafür erforderlichen Retentions- oder Rückhalteräume sowie Flächen für den Hochwasserabfluss zur Verfügung.
Gesetzliche Grundlagen
Die gesetzlichen Grundlagen für die Feststellung von Überschwemmungs-gebieten sind der § 76 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) sowie der § 66 des Thüringer Wassergesetzes (ThürWG).
Aus § 76 Abs. 2 WHG ergibt sich die Pflicht zur Ausweisung bzw. vorläufigen Sicherung von Überschwemmungsgebieten für die Gewässer mit signifikantem Hochwasserrisiko (Risikogebiete laut EU-Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie).
Überschwemmungsgebiete werden von der oberen Wasserbehörde im Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz durch Rechtsverordnung (RVO) festgestellt.
In Thüringen sind derzeit ca. 63 % der Risikogebiete als Überschwemmungsgebiete durch Rechtsverordnung ausgewiesen sowie ca. 31 % vorläufig gesichert.
Für ca. 1875 Gewässerkilometer (Risikogebiete) gelten Überschwemmungsgebiete gemäß Festsetzung durch eine Rechtsverordnung oder durch eine vorläufige Sicherung.
Hochwasserereignisse der letzten Jahre
Übersichtskarte

Weitere Informationen
Fachliche Grundlagen
Bei der Beschreibung eines Überschwemmungsgebietes ist im Regelfall ein Hochwasserereignis zu Grunde zu legen, mit dem durchschnittlich einmal in hundert Jahren zu rechnen ist (HQ100). Dieses Ereignis wird als maßgebendes Hochwasser bezeichnet.
Unter Beachtung der bei einem maßgebenden Hochwasserfall vorhandenen Abflussmenge (Hydrologie), dem zu Grunde liegenden Geländemodell, das die aktuelle Topographie abbildet sowie der Beschaffenheit des Geländes (Bewuchs, Bebauung) wird das Überschwemmungsgebiet berechnet. Zur Kalibrierung bzw. Prüfung des hydraulischen Modells werden verschiedene real verlaufende Hochwasserereignisse aus der Vergangenheit verwendet.
Durch die Festsetzung von Überschwemmungsgebieten werden alle die Flächen erfasst, die auf Grund ihrer Lage mit einer Häufigkeit von einmal in hundert Jahren durch Hochwasser überschwemmt werden. Es handelt sich also nicht um eine willkürliche Festlegung der Grenzen des Überschwemmungsgebietes, sondern um die Feststellung der realen Überschwemmungsgefahr.
Festsetzung der Überschwemmungsgebiete
Die Verfahren zur Festsetzung der einzelnen Überschwemmungsgebiete werden im Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz geführt.
Es erfolgt in einem entsprechenden Verfahren eine Beteiligung der Träger öffentlicher Belange sowie der betroffenen Flurstückseigentümer (einmonatige Auslegung des Rechtsverordnungstextes sowie der dazugehörenden Kartenblätter im Maßstab 1: 10 000 und 1: 2 000 in den Kommunen).
Die eingegangenen Stellungnahmen bzw. Einwendung werden geprüft, ggf. ist aus fachlichen Gründen eine Änderung des Überschwemmungsgebietes geboten.
Nach Unterzeichnung der RVO wird diese im Staatsanzeiger sowie in den betroffenen Kommunen veröffentlicht. Die Rechtsverordnungen einschließlich der Karten mit der Darstellung der Abgrenzung des jeweiligen Überschwemmungsgebietes sind in den zuständigen unteren Wasserbehörden niedergelegt und können dort eingesehen werden.
Weitere geltende Überschwemmungsgebiete
Neben den oben beschriebenen Überschwemmungsgebieten gemäß Rechtsverordnung gelten auch vorläufig gesicherte Überschwemmungsgebiete gemäß § 76 Abs. 3 WHG sowie in Thüringen nach früherem Recht durch Beschluss festgelegte Hochwassergebiete gemäß § 54 Abs. 3 ThürWG. Diese Überschwemmungsgebiete werden nach und nach durch Rechtsverordnungen ersetzt. Diese Überschwemmungsgebiete sind in Karten im Maßstab 1 : 10 000 oder aber im Maßstab 1 : 25 000 dargestellt.
Konsequenzen der Berechnung und Feststellung von Überschwemmungsgebieten für Bürger und Kommunen

Die Feststellung von Überschwemmungsgebieten dient in erster Linie dazu, die Betroffenheit von Grundstücken und Flächen entlang von Fließgewässern bezüglich der realen Gefahr der Überflutung durch Hochwasser zu erfassen und zu dokumentieren.
Die mit der Feststellung eines Überschwemmungsgebietes verbundenen Einschränkungen (z.B. Verbot bzw. Genehmigungsvorbehalt nach § 78 Abs. 4 WHG für die Errichtung oder Erweiterung baulicher Anlagen, Bewirtschaftungsregelungen des § 4 der RVO) sollen bewirken, dass umfangreiche Sachschäden vermieden werden, dass sich die Überflutungsgefahr für die Unterlieger nicht nachteilig entwickelt und dass das Wohl der Allgemeinheit nicht gefährdet wird.

Besondere Bestimmungen im Überschwemmungsgebiet
Innerhalb der rechtlich gesicherten Überschwemmungsgebiete (Rechtsverordnungen, vorläufige Sicherungen, nach früherem Recht festgelegte Hochwassergebiete) wird als vorbeugende Hochwasserschutzmaßnahme das Wirken der Menschen eingeschränkt.
Zur Vermeidung einer weiteren Zersiedelung der Auen dürfen in Überschwemmungsgebieten keine neuen Baugebiete im Außenbereich ausgewiesen werden (§ 78 Abs. 1 WHG).
Ausnahmen können zugelassen werden, wenn
- keine anderen Möglichkeiten der Siedlungsentwicklung bestehen oder geschaffen werden können,
- das neu auszuweisende Gebiet unmittelbar an ein bestehendes Baugebiet angrenzt,
- eine Gefährdung von Leben oder erhebliche Gesundheits- oder Sachschäden nicht zu erwarten sind,
- der Hochwasserabfluss und die Höhe des Wasserstandes nicht nachteilig beeinflusst werden,
- die Hochwasserrückhaltung nicht beeinträchtigt und der Verlust von verloren gehendem Rückhalteraum umfang-, funktions- und zeitgleich ausgeglichen wird,
- der bestehende Hochwasserschutz nicht beeinträchtigt wird,
- keine nachteiligen Auswirkungen auf Oberlieger und Unterlieger zu erwarten sind,
- die Belange der Hochwasservorsorge beachtet sind und
- die Bauvorhaben so errichtet werden, dass bei dem Bemessungshochwasser, das der Festsetzung des Überschwemmungsgebietes zugrunde liegt, keine baulichen Schäden zu erwarten sind (§ 78 Abs. 2 WHG).
Bei der Prüfung sind auch die Auswirkungen auf die Nachbarschaft zu berücksichtigen.
Für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung ist ggf. die Obere Wasserbehörde zuständig.
Die Errichtung oder Erweiterung baulicher Anlagen im Überschwemmungsgebiet ist untersagt (§ 78 Abs. 4 WHG). Eine Ausnahmegenehmigung kann gemäß § 78 Abs. 5 WHG im Einzelfall erteilt werden, wenn
1.
- die Hochwasserrückhaltung nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt und der Verlust von verloren gehendem Rückhalteraum umfang-, funktions- und zeitgleich ausgeglichen wird,
- der Wasserstand und der Abfluss bei Hochwasser nicht nachtteilig verändert wird,
- der bestehende Hochwasserschutz nicht beeinträchtigt wird und
- die Errichtung bzw. Erweiterung hochwasserangepasst ausgeführt wird oder
2.
die nachteiligen Auswirkungen durch Nebenbestimmungen ausgeglichen werden können.
Bei der Prüfung der Voraussetzungen sind auch hier die Auswirkungen des Vorhabens auf die Nachbarschaft zu prüfen.
Die Zuständigkeit für diese Ausnahmegenehmigungen liegt bei der örtlich zuständigen Unteren Wasserbehörde.
Nähere Information zum Thema hochwasserangepasstes Bauen kann man der Hochwasserschutzfibel des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen entnehmen.
Des Weiteren ist in einem Überschwemmungsgebiet gemäß § 78a Abs. 1 Nr. 1-8 WHG untersagt:
- die Errichtung von Mauern, Wällen oder ähnlichen Anlagen, die den Wasserabfluss behindern können,
- das Aufbringen und Ablagern von wassergefährdenden Stoffen auf dem Boden, es sei denn, die Stoffe dürfen im Rahmen einer ordnungsgemäße Land- und Forstwirtschaft eingesetzt werden,
- die Lagerung von wassergefährdenden Stoffen außerhalb von Anlagen,
- das Ablagern und das nicht nur kurzfristige Lagern von Gegenständen, die den Wasserabfluss behindern können oder die fortgeschwemmt werden können,
- das Erhöhen oder Vertiefen der Erdoberfläche,
- das Anlegen von Baum- und Strauchpflanzungen, soweit diese den Zielen des vorsorgenden Hochwasserschutzes entgegenstehen,
- die Umwandlung von Grün- in Ackerland und
- die Umwandlung von Auwald in eine andere Nutzungsart.
Ausnahmegenehmigungen können im Einzelfall erteilt werden, wenn Belange des Wohls der Allgemeinheit dem nicht entgegenstehen, der Hochwasserabfluss und die Hochwasserrückhaltung nicht wesentlich beeinträchtigt werden und eine Gefährdung von Leben oder erhebliche Gesundheits- und Sachschäden nicht zu befürchten sind oder die nachteiligen Auswirkungen durch Nebenbestimmungen ausgeglichen werden können (§ 78a Abs. 2 WHG). Die Zuständigkeit hierfür liegt bei der örtlich zuständigen Unteren Wasserbehörde.
Diese Verbote gelten nicht für Maßnahmen des Gewässerausbaus, des Baus von Deichen und Dämmen, der Gewässer- und Deichunterhaltung, des Hochwasserschutzes sowie für Handlungen, die für den Betrieb von zugelassenen Anlagen oder im Rahmen zugelassener Gewässerbenutzungen erforderlich sind (§ 78a Abs. 1 Satz 2 WHG).
Gemäß § 78c WHG ist in einem Überschwemmungsgebiet die Errichtung neuer Heizölverbraucheranlagen verboten. Ausnahmen können von der zuständigen Unteren Wasserbehörde zugelassen werden, wenn keine anderen weniger wassergefährdenden Energieträger zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten zur Verfügung stehen und hochwassersicher gebaut wird. Vorhandene Anlagen müssen ggf. bis zum 5. Januar 2023 hochwassersicher nachgerüstet werden (§ 78c Abs. 3 WHG).
Fazit
Die Feststellung von Überschwemmungsgebieten durch Rechtsverordnung sowie die vorläufige Sicherung verkörpern einen wesentlichen Teil der öffentlichen Hochwasservorsorge, indem dort die weitere Anhäufung von Sachgütern und damit die Gefahr von Hochwasserschäden weitgehend verhindert wird.
Diese Schäden werden nicht, wie oft fälschlicherweise dargestellt, durch das Naturereignis Hochwasser hervorgerufen, sondern sind meistens „hausgemacht“. Bürger, die in Überschwemmungsgebieten wohnen, sollten sich der Gefahr, die von Hochwasser ausgeht, stets bewusst sein. Es ist keine Hochwasserschutzmaßnahme denkbar, durch die dieses Risiko vollständig ausgeschaltet werden kann. Insofern ist jeder Bürger, der durch Hochwasser betroffen sein kann, im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren verpflichtet, selbst geeignete Vorsorgemaßnahmen zu treffen.
Auch außerhalb der geltenden Überschwemmungsgebiete gibt es Flächen, die einem signifikanten Hochwasserrisiko unterliegen. Auch hier sind zum eigenen Schutz die Vorgaben des WHG zu beachten (§ 78b WHG).